Hello world! Hello Hungeria!
Ach, wie lange habe ich mich mit dieser Idee herumgeschlagen? Vor Ewigkeiten habe ich meiner Mutter zu Weihnachten ein Büchlein geschenkt und sie gebeten, alle ihre Rezepte aufzuschreiben. Tolles Geschenk, das so viel Arbeit macht, hat sie geschmunzelt. Ersten Nachforschungen zufolge muss das im Jahr 2008 gewesen sein, denn die ersten Rezepte stammen aus dem Frühjahr 2009. Meine Mutter hat also fleissig Rezepte gesammelt und aufgeschrieben. Wenn meine Eltern mal wieder etwas besonders ausgefallenes wie z.B. Sauerampfersuppe aufgetischt haben, habe ich sie gefragt, ob sie dieses Rezept denn auch aufgeschrieben hätte. Oft kam ein Nein. Also, hingesetzt und aufgeschrieben. So vergingen die Jahre, das Rezeptbüchlein füllte sich. Je mehr Rezepte ihren Weg in das Büchlein gefunden haben, um so mehr ist der Elan erlahmt, weitere hinzuzufügen.
Das Büchlein liegt im Wohnzimmer zwischen all den alten ungarischen Bildbänden und dicken Wälzern die langsam verstauben. Jedesmal wenn ich meine Eltern besuche, sehe ich es und blättere manchmal darin herum. Ah, Zakuszka, gefüllte Paprika und Zwetschenkuchen, interessant. Das Kochgen, von der meine Mutter immer behauptet hat, dass es mich mit spätestens Mitte 30 befallen würde, hat sich immer noch nicht gezeigt. Dennoch hat mich dieses Thema nie losgelassen. Ob Vollmachten, Patientenverfügung oder Klärung von Fragen zum Testament: Meine Eltern erinnern mich regelmäßig daran, dass sie eines Tages nicht mehr für mich da sein werden. Vielleicht erst in 20 Jahren, aber vielleicht auch schon sehr bald. Eine traurige und bittere Erkenntnis. In weiser Voraussicht treffen sie schon heute die Vorkehrungen für den Ernstfall, der garantiert eintreffen wird. So ist das Leben. Und ich will meinen winzigen Teil dazu beitragen. 2008 dachte ich noch, es würde reichen, diese Rezepte aufzuschreiben. Aber reicht das, um das Wissen meiner Eltern zu erhalten? Ich wusste, wenn es wirklich darauf ankäme, würde ich vor diesem Rezeptbüchlein sitzen und die gefüllten Paprika garantiert nicht so hinkriegen, wie meine Eltern sie gezaubert haben: Mit saftigem Biss und schön sämiger und aromatischer Soße.
So reifte langsam die Erkenntnis in meinem Kopf heran: aufschreiben ist nicht genug. Ich muss dabei sein, wenn sie die Sauerkrautroulladen füllen, um zu wissen, wie sie das hinkriegen, dass die Roulladen nicht zerfallen. Und es gibt noch so viele mehr Gründe, warum ich dabei sein sollte, wenn meine Eltern kochen: Ich stelle fest, dass es gar nicht so aufwendig und schwierig ist. Schon bei der Kohlrabisuppe habe ich gestaunt, wie schnell und einfach alles ging: Schnippeln, dünsten, Wasser und Gewürze rein, aufkochen, „habarás“ (S0ßenbinder) drauf, fertig. Und es ist schön, diese Zeit mit meinen Eltern zu verbringen. Ich saß zwar auch früher immer mit in der Küche als sie gekocht haben und habe Kartoffel geschält und Zwetschgen entkernt, aber für den Kochvorgang an sich habe ich mich nie besonders interessiert. Jetzt sind meine Eltern ganz begeistert bei der Sache und rufen mich regelmäßig an, um anzukündigen, was sie in den nächsten Tagen kochen werden. Mein Terminkalender füllt sich mit ganz neuen, unüblichen Terminen: Fasirozott (Fleischbällchen) am Donnerstag Abend, darázsfészek am Wochenende. Sie freuen sich, dass ich mich so sehr für ihre Rezepte interessiere. Und ich freue mich, dass sich mir eine ganz neue Welt erschließt die schon immer vor meiner Nase war aber für die ich einfach keinen Blick hatte.